In ihrem Beruf zählt Schönheit zur Pflicht. Sie
steht am frühen Nachmittag auf, überprüft im
Spiegelbild kurz ihr Kapital, ungefähr so, als
würde sie ins Portemonnaie blicken, während das
kühle Wasser den Schweiß der Nacht aus den Poren
wäscht. Anschließend wählt sie ein Kunstlicht
taugliches Make-up und fährt mit dem Moped zur
Arbeit.
Wassana
arbeitet seit
zwei Monaten im
Shark-Club.
Diejenigen
Touristen, die
man als
potentielle
Freier
bezeichnen
kann, tauchen mit der Dunkelheit auf, und der
letzten betrunkenen Charge wird sie erst weit
nach Mitternacht begegnen. In ihrem Job gibt es
genug Faktoren, die zwischen Krankheit und
Gesundheit, Leben und Tod entscheiden, doch es
gibt auch Hilfsmittel, um solche Gedanken zu
unterdrücken, mehr noch, Alkohol und Drogen
verzerren die Wirklichkeit bis hin zur
traumhaften Glückseligkeit.
Wassana frühstückt direkt an der Walking-Street,
Hühnchen mit Reis, und schaut dem langsam
einsetzenden Treiben zu, dann verschwindet die
Sonne hinterm Horizont. Sie nimmt eine rote Pille
und zündet sich die erste von 50 Zigaretten an.
Draußen stehen bereits die uniformierten
Animiermädchen mit bunten Pappschildern und
verkünden die Happy-Hour: Drei Cocktails zum
Preis für zwei. Wassanas Schicht beginnt. Die
Prostituierten des Clubs müssen nicht viel tun,
nur schön rumstehen, den Umsatz steigern, und,
wenn es klappt, dem Freier ins Hotel folgen.
Natürlich hoffen sie und ihre Kolleginnen auf
einen Kunden vor Mitternacht, das kostet zwar
eine Auslöse, aber wenn der Typ nach der Nummer
schnell einschläft, kommt man selbst zu etwas
Schlaf.
Fliegende Straßenhändler mischen sich unter den Strom der Touristen, sie verkaufen Laserpointer, blinkenden LED-Ramsch aus China, Armbanduhren, Kugelschreiber, DVD`s sowie, nicht ganz so offen, Amphetamine und Marihuana. Gegen einen kleinen Obolus schaut die Polizei weg, besser, sie schaut untätig zu. Wenn abends eine Razzia ansteht, weiß es die Walking-Street schon am Mittag.
Wasssana ist jetzt 25 Jahre alt, sie kennt die
Gepflogenheiten des Milieus seit 8 Jahren. Damals
ist sie ihrer Freundin aus dem Nachbardorf
gefolgt, man wollte in der Stadt Geld verdienen,
heiraten, Kinder kriegen und den Mann arbeiten
lassen. Schönheit und Jugend waren ihr einziges
Kapital. Wasssana hat längst ein Gespür
entwickelt, wo sich ein Augenaufschlag lohnt und
ein Flirt zum Ziel führt. Gestern musste sie leer
ausgehen. Solche Nächte sind sehr selten. Während
der Saison können sich die schönsten
Strichmädchen Short-Time-Jobs leisten, also pro
Nacht gleich 2-3 Freier in Stundenhotels
bedienen, und sie verschmähen die Betrunkenen.
Wasssana kann es sich leisten ein T-Shirt
überzustreifen und alle anderen in den Schatten
zu stellen, die ihre Zeit unnötigerweise vor dem Kleiderschrank vertrödeln.
Schließlich spielt eine Live-Band ihr
schlagertaugliches Repertoire. Der Shark-Club ist
gut gefüllt. Eine Nacht wie gestern. Man redet
nicht, weil man schreien müsste. Die Blicke
älterer Männer sind konsequenter, da reicht ein
kurzes Ausloten, und die der Jungen eher
wechselhaft – sie wollen sich nicht sofort
entscheiden. Dieser Luxus führt oft dazu, dass
die zuvor Erwählte noch ausgetauscht wird.
Wassana kennt den Satz „Ich liebe dich“ in acht
Sprachen. Ein recht passabler Typ mustert sie.
Sie mustert zurück: etwas stämmig, etwas klein,
sympathisches Lächeln, allein. Er steht am Rande
der Tanzfläche und hält sein Bier fest. O.K.,
denkt Wassana, irgendwann muss ich ja anfangen.
Zwei Drinks später ist man sich einig.
Wassana zählt das Geld, lächelt und schließt die
Tür. An der Rezeption des Stundenhotels kauft sie
fünf blaue Pillen. Sie fährt mit dem Taxi zurück
zum Shark-Club. Die Schönsten bilden ein Clübchen
ihrer Affektiertheit, und Wassana ist der
Mittelpunkt. Das Geplänkel und Gehabe verschafft
Anerkennung und zollt Respekt. Aber eine Freundin
hat sie nicht, auch keinen Freund. Der nächste
Freier wartet schon. Manchmal sehnt sie sich nach
ihrer kleinen und lauten Wohnung, um die Tür zu
schließen und alleine zu sein. Das verdiente Geld
wird schnell wieder ausgegeben. Für jeden Freier
einen neuen Fummel. Wassana schickt die Hälfte an
ihre Eltern, der Rest geht für Essen, Trinken,
Pillen und Zigaretten drauf. Hin und wieder ein
T-Shirt. Solange die Schönheit hält.