Die Gebrüder de Goncourt

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Der nach ihnen benannte Prix Goncourt (Literaturpreis)ist heute mickrig dotiert, 10 symbolische Euro winken dem Gewinner, doch er hat einen starken Einfluss auf den Erfolg eines Buches und ist demnach ziemlich begehrt. Die Schriftsteller-Brüder Edmond und Jules de Goncourt, deren wichtigstes Werk das von 1851 bis 1896 geführte Tagebuch-Journal war, zählten zu den schillerndsten Figuren des Pariser Literaturlebens, Schriftsteller und Philosophen trafen sich bei feuchtfröhlichen Soireen, um große Fragen der Kunst zu erörtern, vor allem, um den neusten Klatsch und Tratsch auszutauschen.
Die Wiege, in die Edmond 1822 und Jules 1830 hineingeboren wurden, war feudal, und das finanzielle Polster der Eltern beträchtlich, aber Adel verpflichtet, darum gingen beide brav zum Gymnasium, Edmond der ältere studierte Jura und quälte sich anschließend im Finanzministerium. Der Vater war schon einige Jahre nach Jules Geburt verstorben, bis 1848 überraschend auch die Mutter ins Grab folgte. Die Brüder machten tabula rasa und beschlossen zuerst auf Reisen zu gehen, nach Algerien, Belgien und der Schweiz, um sich dann gemeinsam den schönen Künsten hinzugeben. Der erste Tagebucheintrag des später berüchtigten Journals, das am Ende 7000 Seiten enthalten wird, geschah irgendwann im Dezember 1851. Mit der Idee, alles aufzuschreiben, was die Prominenz in den Salons zum Besten gab, wurden sie, wie der "Figaro" polterte, zu gefürchteten "Spitzeln der Wahrheit". Allzeit ließ sich Geraune und Geplauder vernehmen, Verschwiegenes und Gerüchte, ob Skandale, Speisefolgen, Mode, Theater oder Politik, was die Brüder bei ihren Beobachtungen scharfsinnig sezierten. Zudem besaßen sie soviel Stil, als "die größten Partygänger der Weltliteratur" immer zu den richtigen Feiern gegangen zu sein.

"Bei Magny ...",so beginnen die meisten Einträge. Dieses Restaurant ist oft die Einleitung gesalzener und gepfefferter Schweinereien. "Da kommt Flaubert in Fahrt mit glühendem Gesicht, die großen Augen rollend, und sagt, Schönheit sei nicht erotisch, schöne Frauen seien nicht zum vögeln da ... er habe aus allen Frauen, die er gehabt habe, die Matratze einer anderen erträumten Frau gemacht." 
Überhaupt, ob freiwillig oder nicht, es gab immer etwas aufzuschnappen, die beiden haben einfach alles gesammelt, und das ist heute eine reichhaltige, unterhaltsame Quelle. Napoleon der Dritte, Prinzessin Mathilde, Charles-Augustin Saint-Beuve, Ivan Turgenjew, Heinrich Heine, Theophile Gautier, Friedrich Nietzsche, Victor Hugo, Emile Zola und viele andere, insgesamt über 5000 Namen, sie alle wurden zum Ziel der Betrachtung. Flaubert schrieb 1865: "Die ganze Literatur schuldet den Goncourts Dank!" Da wusste er noch nicht, wie ihn die Goncourts durch den Kakao ziehen würden. Denn die Veröffentlichungen der Tagebücher, des Journals, waren skandalös, darum erschienen Teile erst 1885, vorsichtig zensiert, also eine bereinigte Version in 9 Bänden.
Edmond und Jules waren unzertrennlich, manchmal teilten sie sich eine Hure im Bordell.
"Ist der eine vom anderen getrennt, gibt es eine Hälfte von uns, die uns fehlt. Wir haben nur noch Halbgefühle, ein Halbleben, wir sind unvollständig wie ein zweibändiges Buch, dessen erster Band verlorengegangen ist. So glaube ich also ist die Liebe: die Unvollständigkeit und das Fehlen bei Abwesenheit."
Am 22. September 1864 notierten sie: "Die Liebe in unseren Büchern haben wir wirklich aus unserem Hirn, aus der Erschütterung unserer Vernunft geschöpft: Einer von uns war gut 8 Tage lang in ein Flittchen verliebt, und der andere 3 Tage in eine Nutte zu 10 Francs. Macht 11 Tage Liebe für zwei."
Jules starb jung, 40jährig an den Folgen einer Syphilis, sodass Edmond die nächsten 26 Jahre alleine weiterschrieb. 
Auch die Erlebnisse des Kriegsjahres 1870/71, als die preussische Armee Paris beschoss und belagerte, tauchen im Journal auf. Gleichwohl gründete Edmond selbst eine Akademie, deren Mitglied nur sein durfte, wer nicht der Academie Francaise angehörte.

Die Wiedergabe der Salongespräche waren ein subjektives Gewirr der Eindrücke, spontan, willkürlich, launenhaft, widersprüchlich und immer abhängig von der Stimmung des jeweiligen Tages. Ungefähr so: "Und man kommt auf die Frauen. Gautier behauptet, er liebe nur die asexuelle Frau, das heißt, die so jung ist, dass sich jede Vorstellung von Geburt, von Mutterschaft, von Entbindung verbietet; und er fügt hinzu, da er diesen Geschmack wegen der Polizisten nicht befriedigen könne, hätten sämtliche Frauen, ob sie nun 20 oder 50 seien, für ihn das gleiche Alter."
Wie das so ist beim Tratsch, der nicht Anwesende bekommt die Häme zu spüren, was dann selbst den Kaiser der Franzosen betrifft: "Gautier sagt, er sehe aus wie ein aus Trunksucht entlassener Zirkusreiter. Daran ist etwas Wahres. Finster, verschroben, zerrüttet, unverbesserlich. Er sieht aus wie ein Abenteurer, den man in einem Stundenhotel antreffen könnte, wie ein Zuhälter aus Frankfurt."
Man mokiert sich über die Parvenüs, das neureiche Gesindel, das gemeine Volk, weil es "immer noch die größte Belustigung ist, die der gesellschaftliche Mensch erfunden hat. Was ist Gesellschaft? Eine Vereinigung der üblen Nachrede."
Als Edmond 1874 seine Akademie gründete, war damit der Auftrag verknüpft, das Journal 20 Jahre nach seinem Tod ungekürzt herauszugeben. Aber gerichtliche Streitereien der Erben, der Kinder und Kindeskinder, verzögerten die Veröffentlichung. Erst 1956 erschien die komplette Ausgabe - und 2013 auf Deutsch. 
"Geschichte ist ein Roman, der stattgefunden hat, der Roman ist Geschichte, wie sie hätte sein können."