Am Treibgut hängen Tampons aus der Kanalisation,
der Mississippi hat die Bourbon-Street überspült,
ein alter Zementsack spült eine junge Fut,
„Ach du lieber Gott”, stöhnen die Jungfrauen der
Heilsarmee,
und die alten Jungfern auch.
Alles geht seinen Gang, das Wasser wird abgepumpt,
ist wieder im Fluss, gebändigt bis zum
nächsten Jahr,
alle regen sich temporär auf, auch jene,
die nicht mitbekommen haben
was geschehen ist.
Der 8-Stunden-Job, eine keifende Frau
wie sie gerade die Treppe runterkommt,
mit Lockenwicklern und
vertrockneten Schlamm im Haar
die aussieht, als habe sie einen mürrischen
Tag im Bett verbracht, das und noch einiges:
die Ratenzahlungen der Kredite,
die ausstehenden Versicherungsleistungen,
der Mann und das klapprige Auto,
beide TÜV-fällig,
auch das geht seinen Gang, auch das ist im Fluss.
Doch andauernd stört der Zahn der Zeit den
Moment der Bewegung,
irgendwann trocknet die Scheiße auf
der Bourbon-Street, die junge Fut schlendert vorbei,
vor den mittlerweile wieder geöffneten
Supermärkten stehen
private Wachdienste: junge Männer,
gutaussehend, kräftige Figur,
enge Uniform, Knarre, Knackarsch.
Archiv der Kategorie: Texte
Dauernd unterwegs
Wieder ein Gedicht geschrieben Und dann weggeschmissen Wieder im Auto gesessen Die Straße runtergefahren Und auf dem Rücksitz Im Wald gepennt Wieder zuviel getrunken Und Zigaretten geraucht Wieder an dich gedacht Und blau gemacht Ich bin dauernd unterwegs Und fahre mich frei Und hinter dem Horizont Bist du dabei. Wieder eine Nacht alleine Und von dir geträumt Und den Kopf leergeräumt Wieder die Sterne vom Himmel geholt Und in den Ausguss gespuckt Dabei deine Liebe verschluckt Wieder der gleiche Sender Und im Zimmer dein Schatten Und das Lied im Radio Hör ich auch auf dem Klo.
Keine Hochzeit auf Umwegen
“Ich glaube, die Braut macht einen Rückzieher,” sagte Jim und legte das Handy weg, als wir Sakhon Nakhon hinter uns gelassen hatten und auf der 2346 durch Na Wa bretterten. “Du meinst, die Hochzeit fällt aus?” “Sie ist zumindest auf unbestimmte Zeit verschoben.” Eine Hochzeit in Thailand ist keine profane Sache, neben der Religion spielen Status und die damit verbundenen Dinge, die man zur Schau stellen kann, eine wichtige Rolle. Und nun? Jetzt hatten wir ohne Orientierung auch kein Ziel mehr.Keine Hochzeit auf Umwegen weiterlesen
Die Dame aus Turin
Eine Frau wie sie im Buche steht. Und wenn sie tatsächlich in einem Buch zu finden wäre, würde ich sie anstreichen. Rot oder Schwarz. Wie ich das immer mit schönen Sätzen mache. Aber sie steht in keinem Buch, sie steht nicht mal vor mir, sie macht sich rar. Mit der Postkutsche bräuchte ich gut zwei Wochen um sie zu erreichen. Bestimmt will sie mich gar nicht sehen, und doch gehe ich fast täglich die Gasse runter zum Telegraphenamt. Der Stationsvorsteher hat seinen Laufburschen angewiesen mich sofort zu benachrichtigen, sobald eine Depesche von ihr eintreffen sollte.Die Dame aus Turin weiterlesen
Blog 7
Warst du schon mal tauchen im Great Barrier Reef? Hast du mal einen Barrakuda oder einen Merlin im weiten Gewässer der Karibik geangelt? Warst du in Havanna, Santiago de Chile, Schanghai, Bangkok, Corpus Christi, Winsen an der Luhe oder wenigstens mehrfach in der Eckkneipe nahe deiner Wohnung? Bist du schon mit der Metro in Paris gefahren oder mit dem Auto über den Place de Concorde? Ist dir La Rambla ein Begriff? Coitus interruptus? Ein malignes Karzinom?
Und wie sieht es in San Francisco aus, am Hafen mit Blick zur Golden Gate Bridge? Ist es dort in den Morgenstunden immer noch so nebelig wie in Soho (London) den ganzen Tag? Was sehen deine Augen, was riechst du, was fühlst du? Hast du überhaupt Gefühle die nicht von Wut, Selbstzerstörung und einer allgemeinen destruktiven Lebensweise handeln?
Du bist so verdammt jung und doch längst erwachsen, du kennst ein paar Orte dieser Welt, und deine Geschichte, die bereits in Kinder- und Jugendjahren versaut wurde, ist mir beinahe geläufig. Aber du weißt bestimmt nicht wie man Obstkompott einmacht - altes Großmutterrezept, und ich habe es längst vergessen. Tun wir einfach eine ganze Menge Zucker rein.
Der Tag des Herrn
Sunday morning coming down, Poesie im Dreck, so wie jeden Sonntag, wenn sich der Mantel der Tristesse über das Haupt der Melancholie legt. Hinterm Fenster farblose Fassaden, ausgewrungene Gehirnlappen verhindern das Denken - z.B. an Weiden-Kätzchen, und das erste Bier zum Frühstück schmeckt nicht schlecht, die Geschmacksnerven reagieren wie ein Prellbock auf den rasenden Zug, der ohne Sicherheitssystem unterwegs ist, und während der Fahrt streicht man die Zigaretten glatt, die andere bei der Kollision liegenlassen werden, man stolpert raus, auf dem Kopf eine dämliche Tarnkappe des Mitgefühls, im Geist der verschwundenen Träume die ein komisches Echo senden das nirgends ankommt. Sunday morning coming down.
Wenn die Sonne hinterm Tresen untergeht
Ich mochte ihre Art, wie sie da saß, mich anschaute und wie sie der Bedienung mit einem Fingerschnippen zu verstehen gab, dass ich einen neuen Drink brauchte. Sie behielt mich einfach im Auge, ihr Lächeln gegen meins, manchmal stand sie auf, kam zu mir rüber und fragte etwas.Wenn die Sonne hinterm Tresen untergeht weiterlesen
Alte Geschenke
Wie fühle ich mich nach all den Frauen aus der Jugend, die ebenfalls älter geworden sind, was ich aber nicht sehe, nicht weiß, denn sie sind weg und kommen nie wieder, und trotzdem bleiben die schönen Momente. Wie sehen die verblichenen Jahre aus und der Rest der verbleibenden? Doch das ist kein Gedicht über den Tod und das Ende, es ist der Anfang eines Lebens vor dem Tod, der die Maske einer schönen Frau trägt, eine von denen, die mir vor 100 Jahren begegnet sind, als ich jung war und nie zuviel bekommen konnte und wegen der verpassten Möglichkeiten zu wenig bekam. Man darf sich nicht lächerlich machen und jede hingekritzelte Zeile der Liebe widmen, weil es dann abgeschmackt klingt: dies für Marie, dies für Janet, dies für Isabella und so weiter, bis man alle europäischen und exotischen Namen durch hat, aber immer noch nicht alle Frauen. Das ist ein Gedicht an dich, meine Liebe, und falls wir uns treffen, wird es wie sterben zu Weihnachten sein, noch bevor man sein Geschenk ausgepackt hat.
Wind
„Wie geht es deinen Gedanken?”, fragt sie. „Undefinierbar, wie der Kaffee”, antworte ich. Der Kaffee ist wirklich nicht zu beschreiben, er ist so eine Pulvermischung aus alten Autoreifen, Koffeinextrakt und wasserlöslicher Betonfarbe. Wir sitzen in einem offenen Restaurant, nur eine Straßenbreite vom Strand und dem Meer entfernt. Der Wind wird von draußen in die Bucht gepresst wie durch einen Trichter, er fegt über den Strand und die Straße - zwar bricht er sich später an den Häuserfronten, aber hier findet er ungehindert Einlass. Ich beuge mich runter und stippe die Asche der Zigarette ab. Sie fliegt mir sofort ins Gesicht. Warum wir jeden Tag hier sitzen und einen undefinierbaren Kaffee trinken, kann ich nicht sagen. Vermutlich aus reiner Gewohnheit. Einmal riss mir dieser heftige Wind einen Geldschein aus der Hand, als ich gerade bezahlen wollte. Er segelte hoch, vollzog zwei dämliche Schleifen, trudelte bis zur Mitte der Fahrbahn, dann fuhr ein noch dämlicheres Auto drüber. Es nahm ihn einfach mit. „Ich denke oft an damals”, sage ich. „Das solltest du nicht“, sagt Am. „Ich weiß“, erwidere ich. Sie weiß, dass ich fast jeden Tag an damals denke. Nichts ist mehr so, wie es einmal war, alles hat gelitten und ist älter geworden. Nicht nur wir, auch die Einrichtung des Restaurants, das wir seit 20 Jahren kennen, und dessen Inhaber. Die Frau schaut öfter zu uns rüber, ihr Sohn starb bei einem bewaffneten Überfall im Süden. Ihr Mann hat sich längst damit abgefunden; sie werden das über zwei Generationen geführte Restaurant demnächst verkaufen. Jetzt, da es keine dritte Generation mehr gibt. Wie der Wind, so haben auch die Jahre Veränderung geschaffen. Die Straße entlang des Strandes ist belebter geworden, hektischer, man braucht ein geschultes Auge für eine kleine Lücke, um sie zu überqueren. Oder ein Blaulicht auf dem Kopf. Wir bleiben nie länger als 15 Minuten, genug Zeit, um den Kaffee in seinem Widerspruch ruhig zu genießen. „Pass mit dem Geld auf”, sagt Am. Jeden Tag. Seit mir der Wind den großen Schein nahm. Beinahe wie damals, als ich sie kennenlernte, vor 20 Jahren, als ich ihr schon am ersten Tag das Portemonnaie gab und sie sagte: „Ich pass lieber mit dem Geld auf.” Heute will sie nicht mehr für mich bezahlen, wie sieht das aus, jetzt, wo wir verheiratet sind, hatte sie gleich nach der Hochzeit gesagt. Heute begleicht sie die größeren Posten mit meiner Kreditkarte. Gegen Nachmittag nimmt der Wind zu, wir gehen durch die schmalen Seitenstraßen zurück zum Haus, vorbei an den Geschäften, den kleinen Wäschereien, den alten Restaurants und Bars. Es sind immer noch die gleichen Fassaden, die gleichen windschiefen Reklameschilder, alles etwas verrostet und vergammelt, frische Farbtupfer sind selten. Sieht man genauer hin und betrachtet die Bewohner, erkennt man Erwachsene, die früher Kinder waren und nun selber welche haben, oder ganz neue Gesichter. Wer kann, zieht in die sechs Kilometer entfernte Stadt, wo man die Preise verdoppelt hat. Meine Frau und ich machen nicht mehr viel zusammen, nachmittags undefinierbaren Kaffee trinken, ja, und sonntags flanieren wir über die Promenade, setzen uns unter eine Stechpalme, aber eigentlich sind wir kontaktlos. „Es ist wegen deinen Gedanken“, sagt sie, „ich will nicht, dass du so viel denkst.“ Deshalb lässt sie mich öfter allein. Sie bleibt ihrem eigenen Lebensrhythmus treu, sie besucht Verwandte, Bekannte und entfernte Nachbarn. Früher mochte ich diese Besuche, die Abwechslung, ich war gerne der Tradition des Landes verpflichtet und genoss die lärmende Gastfreundschaft. Wir hatten nur ein Kind, eine Tochter. Wir heirateten noch vor ihrer Geburt und machten Pläne: Sie sollte die internationale Schule besuchen, mindestens zweisprachig aufwachsen, und ich wollte sie möglichst früh andere Länder sehen lassen, besonders mein Heimatland. Dann starben Ams Eltern; wenn ich mich recht erinnere, vor fünf oder sechs Jahren. Kurz nacheinander. Den Tod unserer Tochter Wassana bekamen sie nicht mehr mit. Sie waren skeptisch und ein bisschen enttäuscht, als ich einheiratete, ein Farang, und nicht gerade vermögend. Es dauerte, bis sie mich akzeptierten, besuchten und einluden, hauptsächlich wegen Wassana. Man kann unser Haus nicht gerade als feudal bezeichnen: drei Zimmer, offenes Bad, ein kleiner Garten. Morgens halte ich mich gerne im Garten auf, der verwildert und verlottert ausschaut, ganz wie ich selbst, und er war schon immer so, ich meine, ein bisschen verwildert, weil Wassana es mochte. Auch das Gerüst der alten Schaukel steht noch. Schlingpflanzen kriechen daran hoch, das Holz vermodert und wird langsam morsch. Manchmal sehe ich meine Tochter dort, in Gedanken, weil mein Kopf nicht mehr richtig mitspielt, und manchmal sitze ich auf der Schaukel, die jederzeit zusammenbrechen kann, und dann kommt Am und sagt, ich sei ein Dummkopf. Das Gerüst ist wirklich marode, in meinem Alter sollte ich nicht mehr schaukeln. Wenn bloß der Wind nicht wäre, beim Kaffeetrinken im Restaurant, nur eine Straßenbreite vom Meer entfernt. Wassana mochte das Meer und den Wind, dauernd drängte sie mich zum Strand, und während ich faul im Sand hockte, schwamm sie zwei Runden um die Barke. Am fragt jeden Tag: „Wie geht es deinen Gedanken?” Eigentlich antworte ich täglich ein wenig anders, je nach Stimmung, doch hauptsächlich beschwere ich mich über den Kaffee, den wir seit vielen Jahren hier trinken. Am fragt ja nur, um überhaupt etwas zu sagen. Auch sie schaut rüber zum Meer und weiß, was damals passiert ist. Wer hatte Schuld? Der Wetterumschwung, also die Natur? Heute bin ich allein, jedenfalls fühle ich mich so. Wir bewohnen dieses Reihenhaus seit 20 Jahren. Damals, nach dem Tod Wassanas, wollten wir aufs Land, weg vom Meer, weg von dieser stetigen Brise, die von draußen in die Bucht gedrückt wird und manchmal heftige, gefährliche Strömungen verursacht. Ich will nicht daran denken und tue es doch, ich sehe die Holzschaukel in unserem Garten und höre Wassana jauchzen, höher, mehr, schneller, und ich denke an die Wellen des Meeres an jenem Tag, die höher und kräftiger als üblich über den Strand fegten. Wegen dem Wind, diesem gottverfluchten Wind und der daraus entstehenden verdammten Strömung. An den miserablen Kaffee habe ich mich längst gewöhnt.
Der kleine Knall
Reichen ein paar Streichhölzer, oder brauchst du einen Schweißbrenner und Flugbenzin, um die Bombe deines Lebens zu zünden? Willst du alles niederbrennen, abfackeln und in die Luft jagen? Hörst du schon die Explosionen? Dann nimm ein richtiges Werkzeug, für eine wirkliche Zerstörung. Egal was du tust, aber fange an. Warten ist das größte Manko, denn überall fliegt die Asche der Toten durch die Luft, staubig, trocken und vom Winde verweht. Wenn du wartest, verblasst dein Drang nach Freiheit allmählich, zusammen mit den Erinnerungen an alte Zeiten, so wie dein Wellensittich die offene Käfigtür ignoriert.