Noch gut dreißig Minuten Busfahrt von Kalasin entfernt, also im tiefsten Isaan, liegt Somdet. Wenn man keinen Grund hat auszusteigen, fährt man besser weiter. Ich bin mir nicht sicher wie viele Hotels es hier gibt, auf jeden Fall weniger als ein halbes Dutzend. Das Somdet-Hotel gehört schon zur besseren Kategorie wo auch Touristen absteigen würden, doch Sehenswürdigkeiten sucht man vergebens, der Ort wird von einer vierspurigen Straße durchzogen, einem Kreisverkehr unterbrochen, und verliert sich dann in einer Art
relieflosem Ödland, einigen Reisfeldern, dem
stetigen Bild grasender Büffel und verbrannter Erde.
Direkt ans Somdet-Hotel grenzt ein Karaoke-Schuppen der übelsten Sorte. Das Boosrakum ist nur durch eine Schiebetür von der Rezeption getrennt, aber als geschlossenes Lokal dem
Nichtrauchergesetz anheim gefallen. Anfangs pendele ich zwischen Tür und Angel, zwischen Bier und Zigarette, doch 20 Baht veranlassen den Playboy-Kellner mir einen Aschenbecher auf den Tisch zu stellen. Dieser Kellner bewegt sich so grazil wie ein tänzelnder afrikanischer Zuhälter und so salopp wie ein deutscher Autoverkäufer. Obwohl das Etablissement als klimatisiert ausgewiesen ist, weht innen nur ein laues Lüftchen, es hat schon seinen Sinn, dass man den halben Liter Bier mit einem halben Kubikmeter Eis serviert. Zwei gelangweilte Animierdamen versuchen drei Thais zu beschäftigen, doch die widmen sich dem Karaoke-Sport. Eher schlecht als recht. Nachdem sie fünf Schnulzen zum Besten gegeben haben, sind sie sich ihrer Mangelhaftigkeit bewusst, zahlen und schlendern lärmend von dannen. Nun fordert meine leicht androgyn wirkende männliche Begleitung den Diskjockey heraus. Noi, der mich durch den Isaan führt, sucht sich einen Song nach dem anderen aus der dicken Kladde, schreibt die
Nummern auf ein Stück Papier, reicht es dem
Kellner und dieser steckt es dem Plattenaufleger zu, der allerdings mit modernster Computertechnik agiert.
“Next Song at Table One”, erscheint wenige Sekunden später auf den vier im Raum verteilten Monitoren. An Tisch Eins sitzen wir.
“He sings like a lady”, sagt der Kellner und tatsächlich schafft Noi eine erstaunlich hohe
Tonlage und wechselt dann die Oktaven wie jemand, der mit Talent eine Gesangsausbildung genossen hat. Nach jedem Lied bekommt Noi frenetischen
Applaus: vom Kellner, dem Koch, der kurz aus der Küche schaut, den zwei Animierdamen und mir. Als sich ein volltrunkener Thai ins Boosrakum verirrt, haben die beiden Damen Arbeit. Die pompös und kitschig hergerichtete Bühne wird bestimmt nur zu besonderen Zwecken benutzt, sie wirkt
grotesk in ihrer hellen Beleuchtung und verlassen unter den farbigen Strahlern. Der ansonsten dunkel gehaltene Raum verdeckt den Schmutz und bietet den Kakerlaken Schutz. Der Playboy-Kellner mit zusammengebundenem Haar, weißem Hemd und schwarzer Hose, entdeckt plötzlich die große Wasser- Bier- oder Urinlache vor unserem Tisch. Vielleicht hat er Angst wir würden irgendwann darin ausrutschen, uns das Genick brechen und er hätte zwei Gäste weniger, jedenfalls schiebt er mit einem Fuß einen Putzlappen drüber und befördert ihn per pedes wieder aus unserer Reichweite. Trotz Zigarettenqualm stinkt es nach Rohrreiniger. Dafür, und fast übermäßig zuvorkommend, bzw. geschäftstüchtig, achtet der Kellner auf unsere Gläser; er kippt Bier nach und lässt genug Spielraum, um ein, zwei Eiswürfel hinzuzufügen. Da sich Noi ganz auf die Rolle eines Sängers spezialisiert, bin ich fürs Trinken zuständig.
Die Einrichtung des Boosrakum ist so einfallslos wie effizient: Fünf parallel angeordnete Tische mit Plastiksitzbänken, neben dem Eingang die Bühne, hinten ein unnötiger Tresen, wo das Personal manchmal den tristen Arbeitstag abhängt, und seitlich die Tür zur Küche, die man glatt mit der Toilette verwechseln könnte – wüsste man nicht, dass die Karaokebar keine Toilette hat. Fürs Geschäft muss man durch die Schiebetür zu den Örtlichkeiten des Somdet-Hotels. Als der Koch mal wieder aus der Küche kommt um Noi Applaus zu spenden, ist ihm das wohl wichtiger als seine Aufgabe, denn er klemmt das gewaltige Schlachtermesser zwischen seine Beine und klatscht. Im
Hintergrund sehe ich ein entsetzt flatterhaftes Huhn von rechts nach links über den Kachelboden hasten, und nach Nois obligatorischem Dankeschön ans Publikum geht der Koch endlich an seine Arbeit. Der dröhnende Bass des nächsten Liedes verschluckt die phonetische Kulisse aus der Küche. Fried rice and chicken werden jeden Tag stets frisch zubereitet. Dass man die Sperrstunde fast penibel einhält liegt weniger an Gesetzestreue, eher an Kundenmangel: Der besoffene Thai ist längst gegangen, Nois Lust in einem leeren Laden weiter zu singen ist verpufft, und mir schmeckt das wässrige Bier auch nicht mehr. Wir bitten den Kellner um die Rechnung, der schaltet stoisch die grellweißen Neonleuchten an und ich danke Buddha, dass sich meine Wahrnehmung dank des Alkohols auf Eindimensionaliät beschränkt hat.
“20 Baht Trinkgeld sind zuviel”, sagt Noi beim Rausgehen.
Wir überqueren die breite Straße, setzen uns auf Steinbänke, neben uns eines dieser typischen Freiluftrestaurants, ordern ein “Fünf-Gänge-Menü” für 100 Baht, dazu Leo-Bier und Eis und blicken rüber: Das Boosrakum löscht alle Lichter. Die beiden überflüssigen Mädchen hinterm nutzlosen Tresen, dessen Lächeln nicht ganz stimmte, weil es zu harmlos wirkte, flanieren an uns vorbei, winken ein Mopedtaxi und verschwinden. Morgen werde ich diese Lokalität wieder besuchen, um sie übermorgen endgültig zu
verlassen; sie spült allabendlich jene unbedeutende Menschen nach oben, die, wenn sie ein Mikro vor geringem Publikum in der Hand halten, das
Gefühl haben für Minuten der Star zu sein, den sie gerade interpretieren.