Alle Beiträge von Hartmuth Malorny

1959 in Wuppertal geboren. Lebt noch.

Hundert Wege

Ich bin ein Rumtreiber, von Geburt an
perspektivisch fehlgeleitet,
hunderte Straßen haben mich irritiert und
nicht zu einem Weg geführt. Hundert Frauen nicht.

Da war eine Frau in Hamburg, ich traf
sie bevor der Sommer begann, und sie
fütterte die Möwen am Kai und
küsste den kalten Regen weg.

Ich stolperte durch den Korridor der Gefühle,
umtriebig und unwissend was die Gegenwart
mit der Zukunft verband.
Nichts?

Da war eine Frau in Frankfurt, der ich mitten im
Winter begegnete, sie lachte in die dunklen Wolken
des trüben Himmels, und ihre Tränen schmolzen den
Schnee, sobald sie von Liebe redete.

Ich bin ein Rumtreiber der nach imaginären Orten sucht,
der Liebe sucht die es nur dort
gibt, wo ich sie nicht finden kann.

Da war eine Frau in Dortmund die meiner Stimmung
entsprach, aber als ich aufhörte zu träumen,
hörte ich auf sie zu lieben, und sie schloss sich an.

Ich bin ein Rumtreiber, und da war ein Girl in
Thailand, von der ich wusste, dass sie mein Geld
liebte und den Wechselkurs täglich studierte.

Hundert Straßen sind nicht genug, vielleicht bin ich
ein Drama ohne Inhalt, hundert Mal verliebt sein
ist wie hundert Mal zum Klo zu gehen.

Und da war ein Mädchen in Laos, dass meine Träume
wie ihre eigenen sah und nicht wusste, dass ich
lediglich eine Etappe nahm, aber sie klammerte sich
fest und ich liebte sie 12 Wochen lang.

Manchmal war das Leben gut zu mir, doch alle
Frauen gingen irgendwann, oder ich ging,
und Hundert Wege endeten ohne Ziel,
und wenn man es relativ betrachtet, sah alles aus wie gestern,
als ich jung war und nicht ans Älterwerden dachte.
Deshalb meint es die Geschichte gut mit mir,
weil ich sie selbst schreibe.

Bungalow

Der dreijährige Junge zog seine Hose runter
und schiss auf den Schotterweg, und der
Rucksacktourist lachte und ging zu
seinem Bungalow.
Von unten drang das Geräusch einer
Kettensäge zu mir, und die erst vor
drei Wochen fertiggestellte Straße
reizte jeden Mopedfahrer dazu, richtig Gas
zu geben. Im Restaurant saß eine
etwa 10 Zentimeter
lange Echse mit geöffnetem
Maul neben dem Holzpfosten bevor
ich merkte, dass sie aus Plastik war.
In den Palmenblättern hockten Zikaden
und schnarrten.
Der Kaffee wurde mit lauwarmem
Wasser zubereitet und die Sicht auf das Meer,
sowie zum angrenzenden Wald war
phantastisch.
Aber die Insel bestand bereits zur Hälfte
aus Kommerz, und die Preise stiegen alle
paar Monate, und jeden Tag kamen
mehrere Boote an und luden Menschen aus,
die schon am Pier von den Schleppern
abgefangen und auf der Insel verteilt wurden.
Der Rucksacktourist lachte.

Alles im Fluss

Am Treibgut hängen Tampons aus der Kanalisation,
der Mississippi hat die Bourbon-Street überspült,
ein alter Zementsack spült eine junge Fut,
„Ach du lieber Gott”, stöhnen die Jungfrauen der
Heilsarmee,
und die alten Jungfern auch.
Alles geht seinen Gang, das Wasser wird abgepumpt,
ist wieder im Fluss, gebändigt bis zum
nächsten Jahr,
alle regen sich temporär auf, auch jene,
die nicht mitbekommen haben
was geschehen ist.


Der 8-Stunden-Job, eine keifende Frau
wie sie gerade die Treppe runterkommt,
mit Lockenwicklern und
vertrockneten Schlamm im Haar
die aussieht, als habe sie einen mürrischen
Tag im Bett verbracht, das und noch einiges:
die Ratenzahlungen der Kredite,
die ausstehenden Versicherungsleistungen,
der Mann und das klapprige Auto,
beide TÜV-fällig,
auch das geht seinen Gang, auch das ist im Fluss.
Doch andauernd stört der Zahn der Zeit den
Moment der Bewegung,
irgendwann trocknet die Scheiße auf
der Bourbon-Street, die junge Fut schlendert vorbei,
vor den mittlerweile wieder geöffneten
Supermärkten stehen
private Wachdienste: junge Männer,
gutaussehend, kräftige Figur,
enge Uniform, Knarre, Knackarsch.

Der Personenaufzug

„In diesem Aufzug kommen Sie nicht rein“, ist eine gern verwendete Floskel, um die Klassenunterschiede hervorzuheben, und sei es im Spielcasino, das den Zutritt nur mit Schlips und Kragen gestattet. Doch hier geht es um ein über 2300 Jahre altes Transportmittel: Es ist überall dort verfügbar, wo der Mensch hoch hinaus möchte oder tief in einen Höllenschlund. Ob Mensch, Tier oder Last, was befördert werden musste, packte man in einen rechteckigen Kasten, der zuerst mechanisch, später mit anderen Kräften einen vertikalen Transport ermöglichte: Der Fahrstuhl.
Der Personenaufzug weiterlesen

Dauernd unterwegs

Wieder ein Gedicht geschrieben
Und dann weggeschmissen
Wieder im Auto gesessen
Die Straße runtergefahren
Und auf dem Rücksitz
Im Wald gepennt
Wieder zuviel getrunken
Und Zigaretten geraucht
Wieder an dich gedacht
Und blau gemacht


Ich bin dauernd unterwegs
Und fahre mich frei
Und hinter dem Horizont
Bist du dabei.


Wieder eine Nacht alleine
Und von dir geträumt
Und den Kopf leergeräumt
Wieder die Sterne vom Himmel geholt
Und in den Ausguss gespuckt
Dabei deine Liebe verschluckt
Wieder der gleiche Sender
Und im Zimmer dein Schatten
Und das Lied im Radio
Hör ich auch auf dem Klo.

Keine Hochzeit auf Umwegen

“Ich glaube, die Braut macht einen Rückzieher,” sagte Jim und legte das Handy weg, als wir Sakhon Nakhon hinter uns gelassen hatten und auf der 2346 durch Na Wa bretterten.
“Du meinst, die Hochzeit fällt aus?”
“Sie ist zumindest auf unbestimmte Zeit verschoben.”
Eine Hochzeit in Thailand ist keine profane Sache, neben der Religion spielen Status und die damit verbundenen Dinge, die man zur Schau stellen kann, eine wichtige Rolle. Und nun? Jetzt hatten wir ohne Orientierung auch kein Ziel mehr. 
Keine Hochzeit auf Umwegen weiterlesen

Die Dame aus Turin

Eine Frau wie sie im Buche steht. Und wenn sie tatsächlich in einem Buch zu finden wäre, würde ich sie anstreichen. Rot oder Schwarz. Wie ich das immer mit schönen Sätzen mache. Aber sie steht in keinem Buch, sie steht nicht mal vor mir, sie macht sich rar. Mit der Postkutsche bräuchte ich gut zwei Wochen um sie zu erreichen. Bestimmt will sie mich gar nicht sehen, und doch gehe ich fast täglich die Gasse runter zum Telegraphenamt. Der Stationsvorsteher hat seinen Laufburschen angewiesen mich sofort zu benachrichtigen, sobald eine Depesche von ihr eintreffen sollte. 
Die Dame aus Turin weiterlesen